Traglastversuche

Die Grundlage für die Validierung numerischer Berechnungsmodelle zur Bestimmung einer hinreichenden Prognose des maximalen Lastaufnahmevermögens (Traglast) maritimer Strukturen liefert der Vergleich mit experimentell ermittelten Grenztraglastwerten geeigneter Strukturmodelle. Die Hauptverbände konventioneller Schiffskörper (Mehrzweckfrachter, Tanker, Containerschiffe) sind überwiegend aus versteiften Stahlplatten und Trägern zusammengesetzt und global sowie lokal beansprucht. Am Lehrstuhl für Schiffstechnische Konstruktionen werden Traglastversuche komplexer Strukturen experimentell durchgeführt.

Breitflanschträger unter 3-Punkt-Biegung

Für die Entwicklung geeigneter Analyseverfahren derart komplexer Strukturen wurden in einem ersten Schritt Balkenstrukturen repräsentativ für einzelne Steifen und Träger mit einem Schwerlast-Bauteilprüfsystem experimentell untersucht. Exemplarisch wurde das Traglastverhalten von verschiedenen Doppel-T-Trägern unter 3-Punkt-Biegung und 4-Punkt-Biegung analysiert. Die aus normalfestem Stahl gewalzten Träger sind jeweils mit einer Gesamtlänge von 3,5m ausgeführt und separat in dem Forschungsgroßgerät installiert. Jeder Träger ist an seiner Unterseite auf zwei Stahlrollen freidrehbar gelagert. Der Abstand der Stahlrollen zueinander beträgt 3m. Die Lasteinleitung erfolgt auf der Oberseite durch Absenken einer bzw. zweier Stahlrollen in Abhängigkeit des Biegeversuches. Die Absenkgeschwindigkeit ist mit 0,05mm/s repräsentativ für eine quasi-statische Lastaufbringung festgelegt. Bedingt durch die Leistungsparameter des Forschungsgroßgerätes konnten die Traglastversuche mit Kolbenkräften von F>700kN erfolgreich durchgeführt und geeignete Berechnungsmodelle entwickelt werden. Zur Vorbereitung dynamischer Traglastberechnungen von Trägerstrukturen wurden Zugversuche für unterschiedliche Dehnraten durchgeführt und dynamische Streckgrenzen ermittelt.

Prüfkörper vorbereitet für Traglastversuch (4-Punkt-Biegung)
Prüfkörper nach Traglastversuch (4-Punkt-Biegung)

Um das maximale Lastaufnahmevermögen komplexer Systeme bestimmen und das strukturmechanische Verhalten experimentell korrekt abbilden zu können, wurden in einem zweiten Schritt Modelle unter Beachtung maßstabsgerechter Schlankheitsgrade von Platten und Steifen verwendet. Im Rahmen dieser Forschungstätigkeit sind zwei identisch aufgebaute Prüfkörper repräsentativ für ein Modell eines Einhüllenschiffskörpers untersucht worden. Die Prüfkörper sind jeweils 1m lang, 1m breit, 1m hoch und doppelsymmetrisch aufgebaut. Der Boden, die Seitenwände und das Deck der Prüfkörper sind als Paneele ausgeführt und bestehen aus 3mm dicken Platten. Diese sind aus normalfestem Stahl gefertigt und mit jeweils drei Versteifungselementen in Längsrichtung versehen. Die Längssteifen sind als 3mm dicke und 50mm hohe Rechteckprofile ausgeführt und bestehen ebenfalls aus normalfestem Stahl. Die Lasteinleitung in die Prüfkörper erfolgt über höherfeste Lastarme, die an den Flanschen mit dem Prüfkörper verschraubt sind. Die wiederverwendbaren Lastarme sind identisch zueinander aufgebaut und durch die Abmessungen von 2,5m Länge, 1m Breite und 1m Höhe charakterisiert. Bedingt durch die Abmessungen des Gesamtmodells ist das Schwerlast-Bauteilprüfsystem anwendbar, da dieses einen entsprechenden Bauraum für die Aufbringung hinreichender Biegemomente bietet. Die Lastaufbringung erfolgt über zwei auf der Oberseite der Lastarme aufliegende Stahlrollen. Diese sind an einem Biegeschwert befestigt und werden durch den Hydraulikkolben in vertikaler Richtung verfahren. Die mit dem Forschungsgroßgerät experimentell ermittelten Ergebnisse der Traglastversuche sind von sehr großer Bedeutung für die Entwicklung numerischer Berechnungsmodelle.

Kontakt:

Prof. Dr.Eng./Hiroshima Univ. Patrick Kaeding
Dr.-Ing. Thomas Lindemann

Traglastberechnung

Schiffstechnische Konstruktionen sind während ihrer Einsatzdauer den unterschiedlichsten Beanspruchungen ausgesetzt. Zur Gewährleistung der Funktionalität sowie der Sicherheit von Besatzung und Umwelt unter extremen Einsatzbedingungen, ist die Bestimmung des maximalen Lastaufnahmevermögens (Traglast) bereits im Entwurfsprozess zwingend notwendig. Eine Möglichkeit besteht in der Anwendung der Finite-Elemente-Methode (FEM). Trotz des stetig wachsenden Leistungsvermögens von Hard- und Software ist die Durchführung nichtlinearer strukturmechanischer Analysen ein numerisch sehr aufwändiger Prozess. Aus diesem Grund sind vereinfachte Berechnungsverfahren wie die Smith-Methode oder die „Idealized Structural Unit Method“ (ISUM) entwickelt worden, um das maximale Lastaufnahmevermögen großer Strukturen mit einem reduzierten numerischen Aufwand bestimmen zu können.

FEA (εx /εY = 1,5)
ISUM (εx /εY = 1,5)

Im Rahmen der Idealized Structural Unit Method, wird die zu analysierende Plattenstruktur in größtmögliche Struktureinheiten zerlegt und mit einer hinreichenden Anzahl von ISUM-Elementen diskretisiert. Die Elementformulierung berücksichtigt materiell und geometrisch nichtlineare Eigenschaften der zu analysierenden Struktur in idealisierter Form. Des Weiteren sind den ISUM-Elementen die Amplituden spezieller Formfunktionen als zusätzliche Freiheitsgrade zugewiesen um den Lateralverschiebungszustand der Struktureinheit für unterschiedliche Beanspruchungszustände idealisiert beschreiben zu können. Bedingt durch die zusätzlichen Freiheitsgrade sind innerhalb von ISUM wesentlich weniger Elemente notwendig als bei der FEM, woraus eine deutliche Reduktion der numerischen Aufwendungen resultiert. In Kombination mit geeigneten Balkenelementen sind die ISUM-Elemente für Traglastanalysen komplexer Strukturen bestehend aus einzelnen Platten, versteiften Platten und Plattenfeldern anwendbar. Am Beispiel eines uniaxial druckbeanspruchten versteiften Plattenfeldes soll die Anwendbarkeit von ISUM zur Traglastberechnung exemplarisch demonstriert werden. Zum Vergleich sind die Ergebnisse nichtlinearer FE-Analysen ergänzend aufgeführt. Die Idealized Structural Unit Method wird am Lehrstuhl für schiffstechnische Konstruktionen stetig weiterentwickelt. Innerhalb der neusten ISUM-Elementformulierung lassen sich Traglastanalysen von Plattenstrukturen durchführen, die in ihrer Ebene sowie lateral druckbeansprucht sind. Eine Erweiterung der Idealized Structural Unit Method zur Durchführung von dynamischen Traglastanalysen befindet sich aktuell in der Entwicklung.

Kontakt:

Prof. Dr.Eng./Hiroshima Univ. Patrick Kaeding
Dr.-Ing. Thomas Lindemann